Erschienen bei: ndr.de
Das Licht ist schummrig, Kerzen flackern im ganzen Raum. Eine leichte Parfümnote hängt noch in der Luft. Im Regal eine Auswahl an Gesichtsmasken, Fesselspielzeugen, Dildos und natürlich Peitschen. Bis eben war Hans noch da. Er kommt alle vier Wochen hierher.
Nicole (Name geändert) sitzt auf dem Bett und schlüpft aus ihrem Lehrerinnenkostüm: schwarzer Rock, weiße Bluse, hochhackige schwarze Stiefel. Die Haare sind streng nach hinten zum Zopf gebunden. „Hans war ziemlich unartig im Unterricht. Das muss halt bestraft werden“, sagt sie mit einem Augenzwinkern.
Prostitutionsgesetz nicht gut fürs Geschäft
Schläge und Demütigungen für 220 Euro – das bezahlen die Freier bei ihr pro Stunde. Rollenspiele sind Nicoles Spezialgebiet. Domina seit 20 Jahren, ihr eigenes SM-Studio – für die 39-Jährige schon immer ein Traum. Und diesen Traum hat sie sich vor vier Jahren erfüllt. Zentrumsnah gelegen – mit zwei bis drei Gästen am Tag. Ein gutes Geschäft, das mit der Verschärfung des Prostitutionsgesetzes ins Wanken geraten könnte: „Meine Existenz als Domina ist in Gefahr“, sagt Nicole.
„Ein sehr hoher Anteil der Prostituierten arbeitet nicht selbstbestimmt“
Nicole gehört zu den Sexarbeiterinnen, die mit ihrem Job glücklich sind. Das ist nicht bei allen so. Im Stadtteil Alsterdorf sitzt Jörn Blicke an seinem Schreibtisch. Der Leiter des Dezernats Milieukriminalität im LKA weiß: „Ein sehr hoher Anteil der Prostituierten arbeitet nicht selbstbestimmt oder nicht für sich selbst.“ In Hamburg geht die Polizei von insgesamt 2.500 Prostituierten aus. Wie viele davon wirklich zur Arbeit gezwungen werden, ist unklar.
Zwangsprostitution schwer zu beweisen
Im vergangenen Jahr wurde in der Hansestadt in 26 Fällen wegen Menschenhandels und Zwangsprostitution ermittelt. Aber die Dunkelziffer ist hoch. „Solche Vergehen sind schwer zu beweisen, weil wir darauf angewiesen sind, dass das Opfer eine Aussage macht. Das machen aber die wenigsten“, sagt Blicke. In vielen Fällen spielt die Angst mit. Angst vor dem Zuhälter, aber teilweise auch die Angst vor der Abschiebung aus Deutschland. Knapp 1.500 Prostituierte in Hamburg kommen aus dem Ausland. „Es wird allerhöchste Zeit das Gesetz zu verändern“, sagt Blicke.
Auszug aus dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD
„Menschenhandel und Prostitutionsstätten: Wir wollen Frauen vor Menschenhandel und Zwangsprostitution besser schützen und die Täter konsequenter bestrafen. Künftig sollen Verurteilungen nicht mehr daran scheitern, dass das Opfer nicht aussagt. Für die Opfer werden wir unter Berücksichtigung ihres Beitrags zur Aufklärung, ihrer Mitwirkung im Strafverfahren sowie ihrer persönlichen Situation das Aufenthaltsrecht verbessern sowie eine intensive Unterstützung, Betreuung und Beratung gewährleisten. Zudem werden wir das Prostitutionsgesetz im Hinblick auf die Regulierung der Prostitution umfassend überarbeiten und ordnungsbehördliche Kontrollmöglichkeiten gesetzlich verbessern. Wir werden nicht nur gegen die Menschenhändler, sondern auch gegen diejenigen, die wissentlich und willentlich die Zwangslage der Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution ausnutzen und diese zu sexuellen Handlungen missbrauchen, vorgehen. Wir werden die Ausbeutung der Arbeitskraft stärker in den Fokus der Bekämpfung des Menschenhandels nehmen.“
Große Koalition will Prostitutionsgesetz reformieren
Das Gesetz – das ist das Prostitutionsgesetz aus dem Jahr 2002. Damals wollte die rot-grüne Bundesregierung die rechtliche und soziale Lage von Prostituierten verbessern. Zuvor war die käufliche Liebe sittenwidrig, seit der Gesetzeseinführung können Prostituierte ihren Lohn gerichtlich einklagen. Außerdem können sie sich seitdem krankenversichern. Die Bundesagentur für Arbeit zählt allerdings nur 44 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Prostituierte, darunter vier Männer. Das Gesetz steht nun auf dem Prüfstand.
Freier sollen bestraft werden
Viele Kritiker bezeichneten es sogar als „Zuhälterschutzgesetz“, weil eher die Hintermänner von der Regelung profitierten. In ihren Koalitionsverhandlungen haben sich CDU, CSU und SPD nun auf eine Überarbeitung geeinigt. Zur Diskussion steht eine Bestrafung von Freiern, die wissentlich zu Zwangsprostituierten gehen. Außerdem sollen Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution ein verbessertes Aufenthaltsrecht erhalten, wenn sie in Strafverfahren aussagen. Aus dem Rotlichtmilieu kommt starke Kritik.
„Uns wird die wirtschaftliche Grundlage entzogen“
Nicole kann über das Vorhaben der Koalition nur den Kopf schütteln. Sie hängt ihr Lehrerinnenkostüm zurück in den Kleiderschrank und bereitet sich auf ihren nächsten Gast vor. Peter, Mitte 50, hat sich angemeldet. Er ist verheiratet und zweifacher Familienvater. Für ihn zwängt sie sich in ein schwarzes Latexkleid. Auch Peter wird gleich in einen Gummianzug gesteckt, am Andreaskreuz fixiert, geknebelt und ausgepeitscht. „Er will eigentlich immer das Gleiche“, weiß Nicole. Ob Peter nach einer Reform des Prostitutionsgesetzes noch zu ihr kommen würde, ist fraglich. „Wenn ein Gast das Gefühl haben muss, dass er etwas Verbotenes tut, für das er bestraft werden kann, wird sich sicher so manch ein Mann überlegen, ob er jetzt wirklich ins Bordell gehen möchte oder nicht. Und damit bestraft man auch die Prostituierten wie mich, denen dann die wirtschaftliche Grundlage entzogen wird“, sagt sie. „Und wie soll der Mann bitte wissen, ob die Frau freiwillig oder nicht selbstständig arbeitet?“
Kaum eine Chance auf Bordell-Kontrolle für Hamburger Polizei
Deutschlandweit gibt es schätzungsweise 3.000 Bordelle, um die 400.000 Frauen sollen dem Geschäft der käuflichen Liebe nachgehen. Genaue Zahlen gibt es nicht. Schätzungen vom Statistischen Bundesamt gehen davon aus, dass die Branche jedes Jahr bis zu 15 Milliarden Umsatz macht. Ermittler Jörn Blicke hat es seit 2002 schwerer seiner Arbeit nachzugehen. „Es gab damals eine Regelung im Strafgesetzbuch, die hieß Förderung der Prostitution. Das ermöglichte eine relativ niedrigschwelliges Einschreiten in Bordellen, allerdings immer mit einem richterlichen Beschluss, den man aber vergleichsweise einfach bekommen konnte. Diese Regelung ist weggefallen. Und damit auch eine gewisse Kontrollmöglichkeit“, sagt er.
Rechtliche Situation von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich
Generell hat Hamburg im Vergleich zu anderen Bundesländern nicht so viele Kontroll-Möglichkeiten. Während die Polizei in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Berlin, Brandenburg und Thüringen zur Abwehr dringender Gefahren jederzeit Wohnungen betreten darf, wenn der begründete Verdacht besteht, dass sie der Prostitution dienen, sind viele Räumlichkeiten für die Hamburger Beamten tabu. Sie dürfen Bordelle nur so weit betreten, wie es auch der breiten Öffentlichkeit zugänglich ist – ein Manko. Zwar pflegen die Beamten in den meisten Fällen ein „kooperatives Verhältnis“ zu den Bordellbetreibern und werden fast immer hereingebeten, aber wenn das Verhältnis, „gestört ist“, dann hat die Polizei ein Problem diese Läden zu kontrollieren und entsprechend mit den Frauen ins Gespräch zu kommen, sagt Blicke.
„Wir werden alle zu Opfern stigmatisiert, die gerettet werden wollen“
Nicole sagt, sie habe in ihrer Zeit als Sexarbeiterin noch keine Frau kennengelernt, die nicht freiwillig in der Branche arbeitet. Den Anteil der Zwangsprostitution hält sie für gering. Nicht alle Bewohner des Hauses wissen, dass sie ein SM-Studio unter sich haben. „Viele ahnen es aber“, sagt Nicole. „Mein Hausmeister hat nichts dagegen.“ Derzeit werde mit der Diskussion ums Prostitutionsgesetz eine ganze Branche kriminalisiert. Das stört sie. „Wir werden alle zu Opfern stigmatisiert, die gerettet werden wollen. Das stimmt aber nicht.“ Ihr Handy klingelt. Peter kommt einen Tick später.
„Mir bringt meine Arbeit sehr viel Spaß“
Rund 2.000 Männer hat sie in ihrem Leben schon bedient, 80 Prozent sind Stammgäste. Ihr Ehemann weiß von ihrem Job – ist stolz darauf und unterstützt sie. Das lederbezogene Andreaskreuz in einem der drei Räume des Bordells, an dem gleich auch Peter fixiert wird, hat ihr Mann in Handarbeit in der heimischen Garage zusammengezimmert. Sie sieht sich als Kleinunternehmerin – hat knapp 40.000 Euro in die Einrichtung investiert, schreibt mittlerweile schwarze Zahlen. „Das neue Gesetz soll nur kommen, um unsere Branche komplett zu überwachen. Man will uns weghaben. Für mich gleicht es eher einem Prostitutionsverhinderungsgesetz.“
Auflagenpflicht für Bordelle?
Jörn Blicke sieht das anders. Das neue Gesetz sei ein richtiger Schritt, sagt er. „Entscheidend wäre mir aber, dass man mit einem neuen Prostitutionsgesetz regelt, dass bordellartige Betriebe und auch Bordelle an sich mit bestimmten Auflagen versehen werden dürfen.“ Derzeit sei es schwerer eine Würstchenbude zu eröffnen als ein Bordell. Blicke schlägt vor, dass Bordellbetreiber zunächst ein Führungszeugnis vorlegen müssen, bevor sie ein Freudenhaus eröffnen. So könnten auffällige, eventuell schon mal straffällig gewordene Personen, von vornherein abgelehnt werden. „Und zum anderen müsste es auch darum gehen, dass man für die Betriebe selbst gewisse Auflagen machen darf – um sicher zu sein, dass sie zum Beispiel hygienische Standards entsprechen“, sagt er.
Abitur, kaufmännische Angestellte, Domina
Nicole hält die hygienischen Standards ein. „Sie glauben gar nicht, wie viel Zeit fürs Saubermachen draufgeht.“ Sie lacht. „Und jeden Tag Handtücher waschen. Das dauert“. Nach dem Abitur hat sie zehn Jahre lang im kaufmännischen Bereich gearbeitet. Parallel dazu als Domina. „Ich empfinde es als Privileg, fremden Menschen ihre geheimsten Wünsche zu erfüllen“, sagt sie. Und das will sie noch lange machen – trotz eines möglichen neuen Prostitutionsgesetzes. Es klingelt. Sie zieht den Reißverschluss ihrer Stiefel hoch. Peter ist da.